Ich bin der Liebling meiner selbst

nach Robert Walser


Ich bin der Liebling meiner selbst

nach Robert Walser
Erstaufführung Theaterspektakel 1995

Bearbeitung, Inszenierung, Produktion Rudolph Straub

Poetische Walser-Biographie

Rudolph Straub inszeniert sein Walser-Panoptikum «Ich bin der Liebling meiner selbst»

Zwar hat Robert Walser nie ein abendfüllendes Theaterstück ge­schrieben. Doch seine Prosa eignet sich hervorragend fiir die Dramati­sierung. In seinem Walser-Panopti­kum «Ich bin der Liebling meiner selbst», das er mit dem yoyo-Ęnsem­ble inszeniert, beweist dies der Re­gisseur Rudolph Straub. Anlässlich einer öffentlichen Probe im Zürcher Depot Hardturm erhielt man am ver­gangenen Freitag bereits Einblick in diese Art poetische Biografie Wal­sers. Die Uraufführung findet am 25. August im Rahmen des Zürcher Theaterspektakels statt. 

Wer nur in den Spiegel schaut, bleibt einsam. Und Einsamkeit wurde im Leben Robert Walsers immer mehr zum dominierenden Gefühl. Doch Walser, so zeigt ihn Rudolph Straub, war nicht einfach ein in sein Abbild versunkener Narziss. Vielmehr einer, der das Para­dox von doppelt und doch eins sein akzeptierte und damit spielte. Das ist Schizophrenie – nicht als Krankheit, wie sie Walser schliesslich attestiert wor­den ist, sondern als Lebensentwurf – wie sie in Walsers letztem Roman «Der Räuber» aufscheint.

Die Bühne als Spiegel

In Rudolph Straubs Walser-Stück, das vorwiegend auf den späten Bleistiftaufzeichnungen des Autors, den sogenannten Mikrogrammen, basiert, ist alles Spiegelung, alles Doppelspiel im wahrsten Sinn des Wortes. Schon der ganze Bühnenrahmen ist darauf angelegt, ja selbst die Platzierung des Publikums, das sich auf den zwei entgegengesetzten Seiten der Bühne setzt und wie in einen aufgerichteten Spiegel blickt. 

Ich bin der Liebling meiner selbst, ganze Länge, 01:44:55′

Im ersten Teil seines Panoptikums stützt sich Straub auf die quasi autobiografischen _«Felix-Szenen». Eine Art Ansager führt die jeweiligen Episoden aus der Jugendzeit kurz ein. Doch die Figur entpuppt sich als eine von Walser erfundene. Es ist der Diener Caesar, dessen sich Walser in seinem tatsächli­chen Leben für sein Inkognito bedient hat. Allerdings wandelt sich diese Caesar-Figur weiter zum exakten Spie­gelbild der Figur des Autors. Jean-Mi­chel Räber als Walser und Ernst Süss als Caesar/Walser stecken denn auch nicht nur im gleichen dunklen, etwas abgetragenen Strassenanzug mit Hut und Schirm. Ihre Bewegungen verlau­fen immer wieder synchron. Und am Ende bleibt Walser nur Walser übrig.

Doch das Ende zeichnet sich von Anfang an ab. Bereits die Familie, ein kleinbürgerlicher Kreis von erschreckender Morbidität und Banalität, weiss mit Felix nichts anzufangen. Auf die Ausgrenzung durch die Tischrunde, die auf überhöhten metallenen Stühlen sitzend das Tischtuch zwischen sich spannt, folgt die Ausgrenzung des späteren Autors aus der Gesellschaft.

An die Stelle der Autobiografie tritt im zweiten Teil die Fiktion. Die Welten, die Walser schafft, sind ihrer­seits jedoch nicht ohne Bezug zur Gesellschaft, welche sie aber mit Ironie, ja mit Hohn reflektieren, wie etwa im Dramolett vom Lord, der sich in die Strassenwischerin verliebt.

Die Sehnsucht nach einer gültigen Beziehung bleibt unerfüllt, und am Ende wird gar die Distanz zwischen den Ausgegrenzten – dem einäugigen Mädchen, das von habgierigen Nach­barn in eine Schlucht gestossen wird und ihrem Retter im Walser-Kostüm – unüberwindlich.

Melancholie und Humor

Straub gelingt eine weithin geschlos­sene Inszenierung, die sowohl der Melancholie wie auch dem Humor Walsers Rechnung trägt. Das Ensemble neben Jean-Michel Raber und Ernst Süss – Roswitha Dost, Silke Geertz, Martin Huber, Alexandra Prusa und Kaspar Weiss – meistert das Spiel, das zumeist parallel zu den zwei Publikums­fronten verläuft, hervorragend. Die Bewegungsabläufe wirken zuweilen scherenschnittartig. Die Betonung der Gestik gegenüber der Mimik verleiht dem Spiel jene Ambivalenz zwischen übertriebenem, bereits in die Satire umkippendem Pathos und Ernst, genauso wie dies Walsers Sprache innewohnen kann.

Ganz ohne Bruch verläuft das Stück indes nicht; der Auftritt einer Tell-Figur zerreisst für einen Augenblick die Geschlossenheit der schwebend-poeti­schen Stimmung mit clowneskem Pol­tern. Auch der Tell-Text stammt von Walser. Die Kritik an Staat und Gesellschaft ist unverhohlen. Es sei ihm wichtig gewesen, so Rudolph Straub, auch diesen Aspekt in sein Panoptikum einfliessen zu lassen. Allerdings wirkt der inszenatorische Einfall nicht zugun­sten eines Gesamtbildes. Er bleibt quere Episode ohne Einbindung.

Zur öffentlichen Probe im Depot Hardturm war das Bühnenbild von Daniel Brandely noch nicht  ganz vollständig. Ein Hauptmerkmal sind die fahrbaren Elemente, die dem Ensemble rasche Szenenwechsel erlauben, die darüber hinaus den Charakter des Imaginären betonen. Das Spiegelmotiv wird von Brandely ebenfalls aufgenommen. Die definitive Bühne soll von einem Bogen mit (vergrösserten) Mikrogrammen überspannt sein, der das Geschehen wie mit einem Rahmen – einem Spiegelrahmen- einfasst. 

Stimmige Theatermusik

Der im Luzernischen wohnende Komponist John Wolf Brennan hat zu Straubs Walser-Stück eine diskrete, jedoch äusserst stimmige Theatermusik geschrieben. Meist zwischen den Episo­den als  Pausenmusik, manchmal die Szenen untermalend, geht Brennan zwar auf die Handlungsabläufe ein, ohne jedoch vom Grundcharakter eines melancholisch-schwebenden Tons abzu­weichen, der vor allem durch einen aufgerauten Streicherklang geprägt wird.

 Ronald Schenkel, Luzerner Zeitung 14.08.1995.1995

Premiere von „ Ich bin der Liebling meiner selbst“ im Rahmen des Zürcher Theater Spektakels am 25. August 1995 in der Schauspielakademie Zürich. 

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