Felix

nach Robert Walser

Felix

nach Robert Walser

Erstaufführung im Teatr Swedzka 2/4, Warschau 1993.

Bearbeitung, Inszenierung Rudolph Straub

Schweizer Theater auf polnischer Avantgarde-Bühne

Müssen wir Robert Walser lieben?

Ich glaube nicht, dass man ihn lieben muss, obwohl das Teatr Swedzka 2/4 mit dem Schweizer Regisseur Rudolph Straub sehr überzeugend dahin wirkt. Robert Walser (1878-1956) ist zwar in den Lexika der Weltliteratur verzeichnet und war als Schriftsteller für Grössen wie Musil, Hesse, Hofrnannstahl, Kafka, Zweig und Walter Benjamin von Interesse, aber das heisst nicht, dass das, was für die deutschsprachige Kultur gut ist, auch für uns reizvoll ist. Die Lebensgeschichte eines Wanderkünstlers, der erfolglos versucht, sich aus der kleinbürgerlichen Welt zu befreien (und vor allem wirtschaftlich zu befreien), mag faszinierend sein; eine Lebensgeschichte, die mit seinem Tod in einer Irrenanstalt endete, wo er fast dreissig Jahre lang blieb. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Biografie, die in „Felix“ bruchstückhaft zusammengefasst ist, zu einem Werk wird. Die Bühne in der Szwedzka-Strasse wurde für die Aufführung von „Felix“ aufwendig umgebaut. Eine (für dieses Theater) riesige Bühnen- und Schauspielmaschine wurde in Gang gesetzt. Es wurde gespielt und gespielt wie Shakespeare im 19. Jahrhundert, obwohl es nur zwei Akte gibt. Jeder der acht Schauspieler spielte drei oder vier Rollen, auf zwei gegenüberliegenden Bühnen und mehreren Ebenen. Es gab Visionen von grosser Schönheit, wie ein Familienfest auf zwei Meter hohen Stühlen mit einem Messer in der Wand; wie die Tante (Malgorzata Niemirska), die mit einem Sessel auf Rädern verschmolzen ist, wie eine Opernkulisse, wie der Palast von Lady und Lord; wie das Hotel, in dem das Mädchen mit dem Glasauge (die schöne Jolanta Lagodzinska) schläft. Es gab interessante Charakterdarstellungen (Mutter und Herrin von Magdalena Kuta, Mai)’Ilarz von Slawomir Olszewski, Tell von Andrzej Musial, Rotrnantel von Miroslaw Zbrojewicz). Jariusz Łagodziński und Mirosław Pożarowski spielten gut, insbesondere die gespaltene Figur des Autors. Es waren satte zweieinhalb Stunden intensiver Anstrengung der Schauspieler und des Publikums, in denen es – und das Stück war als Komödie angekündigt – einmal zu einem spontanen Lachanfall kam, als Schlagsahne versehentlich auf der Jacke eines der Zuschauer landete. Und genau hier liegt das Problem der Walser-Rezeption in Polen. Es hat bereits Versuche gegeben, seine Prosa zu übersetzen, völlig erfolglos. Ich kann mich den deutschen Gelehrten anschliessen, dass der eigentümliche Stil und die Sprache dieser Prosa, die sich den Grenzen der reinen Poesie nähert, reich an Archaismen und Dialektismen ist, den Übersetzer in eine ausweglose Situation bringt. Das konnte man auch im Theater beobachten. Felix‘ hat so viel Inhalt wie ein Boulevardstück – die Lebensreise des Künstlers in Bildern und die Inszenierung seines experimentellen Stücks. In der Oper ziehe ich ‚La Bohème‘ oder ‚Hoffmanns Erzählungen‘ vor – die geben wenigstens nicht vor, Avantgarde zu sein. Ich verstehe Szwedzkas edle Absichten, Warschau in der Geschichte der Weltliteratur zu unterrichten und zu zeigen, wie man in der grossen Welt Regie führt. Aber lohnt sich das bei so einem luftigen Beispiel? Liebe kann blind sein, aber sie muss nicht völlig taub sein.

HANNA BALTYN
Robert Walser 
Felix oder das Glück mit Bleistift skizziert
Regie: Rudolph Straub
Bühnenbild: Paweł Dobrzycki
THEATER SZWEDZKA 2/4

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